Phonograph und Gedächtnis

Unter welchen sozialen, politischen und medientechnischen Bedingungen schreibt sich die Vergangenheit in mein Bewusstsein ein und wie wird dieses zum Teil eines kollektiven Gedächtnisses?
Anhand der knapp 100 Jahre alten Grammophonaufnahme des Kabuler Rubabspielers Qurban Ali gehe ich der auditiven Spur nach, welche ein dreiminütiges Musikstück aus Afghanistan bis heute zu mir in Deutschland gezogen hat. Ich bringe dazu die Erfindungsgeschichte des Edison-Phonographen, die ersten medienphilosophischen Überlegungen zur Bedeutung des „Klangschreibers“, die orale Überlieferungspraxis in Kabuls traditionellem Musikerviertel „Kucheh Kharabat“ und meine eigene musikalische Übungspraxis miteinander ins Gespräch.

Seit wir die Stimme des Phonographen hören, stellen sich bestimmte Fragen immer wieder neu: Was unterscheidet die mechanischen Erinnerungen einer Maschine von den lebendigen Erinnerungen eines Menschen? Wie zieht die Maschine eine Spur in das Material des Tonträgers und verwickelt uns so in ein weltumspannendes Netz geteilter musikalischer Erinnerung? Der Film zeichnet die Spur einer historischen Tonaufnahme nach – von ihrer Entstehung 1926 in einem Studio der indischen Grammophonkompanie in Lahore bis zu ihrem Re-Enactment mittels Phonograph im Jahr 2022.

Unter dem Zeichen des schreibenden Engels dokumentiert der Katalog der indischen Grammophonkompanie 1926 die Existenz eines Rubabspielers namens Qurban Ali Afghan. Er ist Mitglied in der Kabul-String Band mit welcher er den Sänger Ustad Qasem Afghan begleitet.
Ustad Qasem war im Frühjahr 1926 mit seinem Ensemble die 800 km von Kabul nach Lahore für eine Aufnahmesitzung gereist. Das Ergebnis dieser Reise sind 59 Musikstücke, die auf 10-Zoll Schellack-Matritzen mit 78-Umdrehungen pro Minute aufgezeichnet wurden. Qurban Alis Rubabsoli erhalten die Katalognummern P. 7558 und P. 7559

Qurban Ali. Photo: Shahrani, Enayatullah. Saz wa awaz dar Afghanistan. 2 vols. Kabul, Afghanistan: Baihaqi Publishing House of the Ministry of Information and Culture of Afghanistan, 2010.
Qurban Ali Afghan, Rubab und Tabla, Raag Asavari.
Schellackpressung der indischen Grammophonkompanie, 1926
Photo: Jonathan Ward
A-Seite: Raag Asavari; Jonathan Ward, www.excavatedshellac.com
B-Seite: Raag Bhairavi; Jonathan Ward, www.excavatedshellac.com

Links

https://excavatedshellac.com/2021/01/10/qurban-ali-raag-asavari/
https://bajakhana.com.au/afghanistan/
https://www.youtube.com/channel/UCBxEkQusYEEcp7EVdHhEIFA